Kabelpilotprojekte
Die Kabelpilotprojekte waren Großversuche zur Erforschung der Auswirkungen der möglichen Programmvermehrung von Hörfunk und Fernsehen per Kabelfernsehen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren. Die Durchführung dieser Projekte war bereits 1977 von den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossen worden. Als Projektorte sind Berlin, Dortmund, Ludwigshafen und München ausgesucht worden. Die Projekte gehen auf eine Empfehlung der 1974 gegründeten Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) zurück. Ende 1975 hatte die KtK ein abschließendes Ergebnis mit 17 Empfehlungen veröffentlicht. Empfehlung Nr. 9 lautete: "Da die Errichtung eines bundesweiten Breitbandverteilnetzes wegen des Fehlens eines ausgeprägten und drängenden Bedarfs heute noch nicht empfohlen werden kann, und da neue Inhalte - auch solche, die nicht Rundfunk sind - erst der Entwicklung bedürfen, werden zunächst Pilotprojekte (Modellversuche) mit Breitbandkabelsystemen empfohlen."[1]
Zur Vorbereitung hat die Deutsche Bundespost in den o.g. Städten mit dem Aufbau der Kabelnetze begonnen, zunächst beschränkte sich die Programmbelegung jedoch auf die ortsüblich empfangbaren Sender. Die Projekte starteten dann 1984 bzw. 1985 in Form von Einspeisung zusätzlicher Fernseh- und Hörfunkprogramme, darunter sowohl neue Angebote öffentlich-rechtlicher, ausländischer Programme, als auch erstmals in der Bundesrepublik produziertes Privatfernsehen. Finanziert wurden die Kabelprojekte durch den sogenannten "Kabelgroschen" in Höhe von 20 Pfennig im Monat zusätzlich zur Rundfunkgebühr, der in den "Kronberger Beschlüssen" Ende 1980 von den Ministerpräsidenten beschlossen wurde. Auf diese Weise sollten in den nächsten Jahren 140 Mio. DM eingenommen werden, die gleichmäßig auf die Projekte verteilt werden.
Im Rahmen der Projekte wurden verschiedene neuartige Techniken und Dienste getestet, deren Akzeptanz und Auswirkungen in umfangreichen Begleitstudien dokumentiert wurde. Die Studien sollten eine Grundlage für die politische Entscheidung über den weiteren Ausbau der Kabelnetze und die Zulassung des Privatfernsehens bilden. Allerdings hat sich das Duale Rundfunksystem bereits lange vor Ende des letzten Kabelpilotprojekts etabliert.
Ludwigshafen/Vorderpfalz
Das erste der vier Kabelpilotprojekte startete am 1.1.1984 in Ludwigshafen und ist bis zum 31.12.1986 befristet. Zu Beginn waren 5000 Haushalte verkabelt. Davon konnten etwas 1200 Haushalte den Start des Privatfernsehens (mit der PKS) in der BRD verfolgen.[2]
Die Anstalt für Kabelkommunikation (AKK) war für die Organisation und Durchführung des Kabelprojekts zuständig und erbrachte technische Dienstleistungen, z.B. verbreitete sie ab 1.4.1984 PKS und Musicbox über Satellit und hatte damals Deutschlands einzige Satellitensendezentrale (in Usingen).
Zielsetzung des Projekts war "bei der Anwendung neuer Kommunikationstechniken ein vermehrtes Programmangebot, neue Programmformen, Programmstrukturen und Programminhalte, lokalen Rundfunk und die Beteiligung freier Veranstalter zu erproben."[3][4]
Kanal | TV-Sender | Freq. | Radiosender |
---|---|---|---|
E02 | ARD (SDR) | 87,60 | AFN |
E04 | Hessischer Rundfunk | 87,95 | Deutschlandfunk |
E05 | Südwest 3 (RP) | 90,25 | HR 1 |
E07 | ZDF | 91,15 | HR 2 |
E09 | Bayerisches Fernsehen | 91,65 | Fr.S (M) |
E11 | ARD (SWF RP) | 92,35 | Fr.S (C) |
S04 | TF1 | 94,25 | Fr.S (L) |
S05 | Antenne 2 | 94,90 | HR 3 |
S06 | FR 3 | 96,90 | BR 1 |
S07 | Sky Channel | 97,25 | BR 2 |
S08 | ARD (HR) | 98,90 | SR 1 |
S09 | Südwest 3 (BW) | 99,30 | SR 2 |
S10 | Musicbox | 100,15 | SDR 4 |
S11 | SWF Bildung ("Der Schlaue Kanal") | 100,80 | SWF 1 |
S12 | ZDF-Musikkanal | 101,15 | SWF 2 |
S13 | ZDF 2/EPF (Erstes Privates Fernsehen) | 101,70 | SWF 3 |
S14 | Satellite Television, später Textkanal "Rheinpfalz" (Telezeitung) | 102,10 | SDR 1 |
S15 | PKS (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk) | 102,90 | SDR 2 |
S16 | Bürgerservicekanal | 103,85 | SDR 3 |
S17 | Einzelanbieter | 104,35 | Radio Weinstraße |
S18 | Movie Channel 1 | 104,75 | Einzelanbieter |
S19 | Offener Kanal | 105,10 | Einzelanbieter |
105,40 | Offener Kanal | ||
Voice of America |
Sky Channel/Satellite Television wurde anfangs auf S14 eingespeist. Am 1.12.1984 wurde aus dem zeitversetzen ZDF 2 das von ZDF, ORF und SRG gemeinsam veranstaltete 3 Sat. Bis zum 1.6.1985 gab es den Movie Channel 1, der täglich zwei bis drei ältere Filme zeigte. Ab dem 28.8.1985 wurde dann auf S18 RTL plus eingespeist. [5]
Uns stehen Programmübersichtskarten aus der Region von 1991, also schon aus dem Regelbetrieb, zur Verfügung. Siehe hier.
München
Das Kabelpilotprojekt in München-Ost startete am 1.4.1984 und dauerte bis zum 31.12.1985. Von ursprünglich erhofften 12000 Haushalten nahmen zu Beginn nur 500 am Projekt teil.[6] Eine gesetzliche Grundlage des Projekts gab es erst ab 1.12.1984, mit dieser Verspätung wollte man eine flexible Handhabung ermöglichen. Die Münchner Pilot-Gesellschaft für Kabel-Kommunikation mbH (MPK) ist für die Teilnehmergewinnung und der technischen Abwicklung zuständig.[7]
Programmangebot zu Beginn[8]:
Kanal | TV-Sender | Freq. | Radiosender |
---|---|---|---|
E02 | MPK-Schnupperkanal | 87,75 | Radio Brenner |
E04 | ORF FS 2 | 89,00 | Deutschlandfunk |
E05 | ORF FS 1 | 90,65 | BR 5 Radio München |
E07 | Bayern 3 | 91,75 | Schweiz 1 |
E09 | ZDF | 92,35 | AFN |
E11 | ARD (BR) | 92,75 | Radio M1 Studio München |
S04 | reserviert für Teleclub | 94,75 | Österreich 2 Oberösterreich |
S05 | reserviert für Telespiele | 95,55 | Österreich 1 |
S06 | Musicbox | 96,20 | Österreich 3 |
S07 | reserviert für Movie Channel 1 | 96,65 | Österreich 2 Salzburg |
S08 | mbt-Kabelzeitung | 97,55 | SDR 1 |
S09 | reserviert für Unser kleines Theater | 99,45 | Schweiz 2 |
S11 | Südwest 3 | 100,20 | Bayern 1 |
S12 | Schweizer Fernsehen | 100,60 | Bayern 2 München |
S13 | ZDF-Musikkanal | 101,10 | Bayern 3 |
S14 | Jugend-Spiele-Sport (BR) | 101,75 | Bayern 4 |
S15 | TV-Kultur-Club (BR) | 102,75 | Radio Xanadu |
S16 | ZDF 2 | 103,65 | Neue Welle Bayern |
S17 | PKS | 104,60 | Bayern 2 Altbayern |
S19 | Sky Channel | 105,20 | SDR 2 |
S20 | TV5 Satellimages | 105,70 | SDR 3 |
106,10 | Radio Aktiv | ||
107,65 | Kirchen |
Der MPK-Schnupperkanal übertrug eines der anderen zusätzlichen Programme, die sich auf den Sonderkanälen befanden und für die man zusätzlich zahlen musste, damit Sperrfilter entfernt wurden.
Wegen urheberrechtlichen Risiken wurden am 30.9.1984 das Schweizer Fernsehen und am 31.3.1985 Südwest 3 ausgespeist.
1982 hatte man sich das Angebot noch so vorgestellt (Spiegel):[9]
Programmangebot von 1986 (nach dem Kabelpilotprojekt):[10]
TV-Sender | Radiosender |
---|---|
ARD (BR) | BR 1 |
ZDF | BR 2 München |
Bayerisches Fernsehen | BR 3 |
ORF FS 1 | BR 4 |
ORF FS 2 | BR 4 mit Programm für Gastarbeiter |
SAT.1 | SDR 1 |
RTL plus | SDR 2 |
3 Sat | SDR 3 |
MPK-Schnupperkanal | Österreich 1 |
TV weiß-blau | Österreich 2 Salzburg |
ZDF-Musikkanal | Österreich 3 |
mbt/Tele Zeitung/Kabeltext | Schweiz 1 |
Musicbox | Schweiz 2 |
Sky Channel | Deutschlandfunk |
TV5 | AFN |
Unser kleines Theater/Lebenshilfe | Radio C |
Radio Brenner | |
Radio M1 | |
Bayerischer Heimatfunk | |
Radio 92,40 | |
Radio 44 | |
Radio Aktiv | |
Radio Gong 2000 | |
Radio Xanadu | |
Radio 95,5 (ab 1.4.1986) |
In Vorbereitung: Olympus/Europa TV, Impuls TV, Teleclub Deutschland.
Dortmund
Das Kabelpilotprojekt Dortmund startete mit etwa 1000 Haushalten am 1.6.1985 für eine Dauer von drei Jahren. Anders als die übrigen Kabelprojekte war der "Kabelfunk Dortmund" unter öffentlich-rechtlicher Trägerschaft (des WDR). Verantwortlicher im WDR hierfür war Erdmann Linde, ein SPD-Politiker und von 1984 bis 1998 Mitglied des WDR-Rundfunkrats.[11] Radio Dortmund als öffentlich-rechtliches Überbleibsel des Kabelpilotprojekts blieb noch bis Ende 1994 auf Sendung (auch terrestrisch auf der heute von WDR 2 genutzten Frequenz 87,8 vom Sommerberg).
Programmangebot zu Beginn:
TV-Sender | Radiosender |
---|---|
ARD (WDR) | WDR 1 |
ZDF | WDR 2 |
Westdeutsches Fernsehen | WDR 3 |
Lokal-Fernsehen | WDR 4 |
*Gestern (Wiederholungsprogramm ab 1.8.1985) | Radio Dortmund |
*Sport und Information (ab 1.7.1985) | Offener Kanal |
*Die kluge Sieben (Bildungskanal ab 1.8.1985) | HR 1 |
*Familien-Fernsehen (ab 3.6.1985) | HR 2 |
*Kulturkanal (ab 1.7.1985) | HR 3 |
*Unterhaltungskanal (ab 3.6.1985) | Deutschlandfunk |
Offener Kanal | NDR 1 |
ZDF-Musikkanal | NDR 2 |
3 Sat | NDR 3 |
Nord 3 | SWF 2 |
Kabeltext für alle (ab 1.9.1985) | SWF 3 |
SAT.1 | BFBS |
Sky Channel | Niederlande 1 |
Niederlande 2 | |
Niederlande 3 |
Ursprünglich sollten überhaupt keine Privatsender eingespeist werden, später (nach dem Projektstart!) kamen dann noch wenigstens SAT.1 und der Sky Channel.
* Die Sender kosteten 0,25-0,50 DM Wochengebühr. Einzelne besondere Sendungen konnten 1,00-4,00 DM kosten. Realisiert wurde dies per FAT-System (Fernsteuer- und addressierbares Teilnehmerkonverter-System).
Für einen Überblick über das Angebot nach dem Ende des Pilotprojekts beispielhaft an einer Programmübersichtskarte von 1994 siehe hier.
Das Verbreitungsgebiet während des Pilotprojekts lässt sich im Wesentlichen so umschreiben[12]:
- versorgte Stadtteile:
- Innenstadt
- Barop
- Schönau
- Begrenzung des Versorgungsgebiets im Uhrzeigersinn vom Stadtkern ausgehend:
- im Norden: östlich Sunderweg/südlich Mallinckrodtstraße bis zur Trasse der Bahnstrecke Dortmund - Enschede, dem Streckenverlauf folgend Richtung Dortmund Ost (inkl. des nicht mehr existenten Streckenteils zum ehemaligen Ostbahnhof)
- im Osten: westlich/südlich Funkenburg, westlich Von-der-Goltz-Straße, westlich Voßkuhle, nördlich Westfalendamm/B1, nördlich Rheinlanddamm/B1, westlich Baurat-Marx-Allee, westlich der Ostgrenzen des Westfalenparks
- im Süden: nördlich des Emscherverlaufs bis zur Ardeystraße, dann westlich der Ardeystraße das Areal des WDR-Studios, ab dort weiter nördlich dem Emscherverlauf folgend bis Krückenweg, weitere Versorgung westlich des Krückenwegs, nördlich An der Teithe. An der Bahnstrecke Elberfeld - Dortmund (u.a. heute durch S5 befahren) laut Karte ein Knick, Versorgung ab hier dann nördlich dem Rüpingsbach folgend, nördlich Stockumer Straße
- im Westen: östlich der H-Bahn-Trasse bis Haltestelle Campus Süd, dort querfeldein östlich bis zur Bahnstrecke Dortmund - Duisburg (heute durch S1 befahren) mit Überquerung der Universitätsstraße, nördlich dieser Bahnstrecke, östlich der Straße Hauert und südlich des Rheinlanddamms/A40 bis Bahnstrecke Dortmund - Soest. Ab dort Verkabelung östlich der Bahnstrecke, bis Unionstraße/Übelgönne bzw. Sunderweg dem Streckenverlauf folgend.
- Institutionen und Bauwerke, die innerhalb dieser Versorgungszone lagen: Florianturm bzw. Westfalenpark, Technische Universität, Technologiezentrum, Union-Brauerei (heute u.a. Dortmunder U, FZW), WDR Studio Dortmund, Westfalenhalle, Westfalenstadion (heute Signal Iduna Park), alle in der Innenstadt befindlichen wichtigen Gebäude wie z.B. das Stadthaus oder diverse Kirchen wie die Reinoldikirche
Berlin
Das West-Berliner Kabelpilotprojekt startete anlässlich der Internationalen Funkausstellung am 28.8.1985 und endete am 28.8.1990, mit 218.000 Haushalten hat Berlin mit Abstand die meisten Teilnehmern und hatte sogar weltweit nach New York und Amsterdam das drittgrößte zusammenhängende Kabelnetz. Schwerpunkt des Pilotprojekts war die Erprobung neuer Sendeformen/ "Erprobung von individuellen, nutzerorientierten Formen der Breitbandkommunikation (Dialogdiensten)".[13]
Die TV-Belegung in West-Berlin zu Beginn des Kabelpilotprojektes:
Kanal | Sender | Freq. | Radiosender |
---|---|---|---|
E02 | DDR 2 | 88,15 | UFA Radio RTL |
E04 | FFB (TV5) | 89,15 | Hör 1 |
E06 | Nord 3 | 90,70 | Antenne Berlin |
E08 | ZDF | 92,80 | Offener Kanal |
E10 | ARD (SFB) | 94,00 | AFN |
E12 | DDR 1 | 94,60 | Stimme der DDR (STDDR) |
S04 | Sky Channel | 95,50 | Berliner Rundfunk (BRF) |
S05 | RTL plus | 96,85 | Radio B1 |
S07 | SAT.1 | 99,05 | Deutschlandfunk |
S08 | Berliner Kabelvision | 100,05 | RIAS 1 |
S09 | Offene Kanäle/Mischkanal | 101,15 | RIAS 2 |
S10 | Havelwelle | 101,85 | SFB 1 |
S13 | 3 Sat | 102,40 | SFB 2 |
S14 | ZDF-Musikkanal | 102,70 | SFB 3 |
S15 | Bayerisches Fernsehen | 103,80 | SFB 4 |
S16 | Westdeutsches Fernsehen | 105,50 | FFB |
S17 | Musicbox | 105,95 | BBC |
S19 | Music Box GB | 107,00 | BFBS |
107,30 | Radio DDR 1 (RDDR 1) | ||
107,90 | Radio DDR 2 (RDDR 2) |
Ausführliche Informationen zum Berliner Kabelpilotprojekt gibt es hier!
Einzelnachweise
- ↑ Medienlandschaft im Umbruch, S. 322
- ↑ Der Spiegel 2/1984, 9.1.1984
- ↑ Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen 1986/87, S. 142
- ↑ Modellversuch Kabelkommunikation: Problemanalyse zum ersten Kabelpilotprojekt Ludwigshafen/Vorderpfalz
- ↑ Der Urknall im Medienlabor: das Kabelpilotprojekt Ludwigshafen, 1987
- ↑ Der Spiegel 15/1984, 09.04.1984
- ↑ Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen 1986/87, S. 146
- ↑ Tele-Audiovision Ausgabe 21 1984, S. 16
- ↑ Der Spiegel 43/1982, 25.10.1982
- ↑ Kabel- und Satellitenfernsehen. Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland unter ökonomischen, politischen und inhaltlichen Aspekten, S. 53
- ↑ Wikipedia-Artikel über Erdmann Linde, aufgerufen am 14.09.2023
- ↑ Karl Hoesch Cast: KHC020 - Kabelpilotprojekt Dortmund (28.07.2014)
- ↑ Die Kabelpilotprojekte der siebziger und achtziger Jahre zu den damaligen neuen Medien, S. 12